„Die Innenstadtentwicklung erfordert Zeit und Geduld“ – „Stadtimpulse“ zeigt Best-Practices

Interview mit Michael Reink, geschäftsführendes Vorstandsmitglied urbanicom e.V.
Erschienen im Public Marketing – Das Magazin für Kommunikation und Marketing im öffentlichen Raum

PUBLIC MARKETING: Die Stadtzentren stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Die Leerstände nehmen zu, die Passantenfrequenz sinkt, der Online-Handel sorgt für weniger Umsatz im lokalen Handel. Wie dramatisch ist die Lage?

Michael Reink: Den Abgesang auf die Innenstädte kennen wir bereits aus den 90er Jahren, als die grüne Wiese immer stärker wurde. Das Thema ist also nicht neu. Mittlerweile hat die grüne Wiese größere Probleme als die Innenstädte und die Standorte generell. Es zeigt sich, dass die Innenstädte doch um einiges resilienter sind. Aus diesem Grund muss man vorsichtig mit solchen Aussagen sein.

Dennoch ist es so, dass die Digitalisierung eine unheimliche Dynamik mit sich bringt und diese Tatsache darf man nicht ignorieren. Denn während früher die Zyklen für städtische Weiterentwicklungen bei rund 25 Jahren lagen und sich im Einzelhandel bei rund acht Jahren bewegen, so gibt es im Digitalbereich eigentlich fast täglich Neuerungen, die zu berücksichtigen sind. Und obwohl der Online-Handel aktuell nur einen geringen Umsatz-Anteil ausmacht, beeinflusst er den stationären Handel in den Städten doch stark.

Die aktuelle Situation, die eine ganz besondere ist, hat die Lage in den Stadtzentren zudem in eine noch größere Schieflage gebracht. Die Kunden blieben aus, die Urbanität litt aufgrund fehlender Innenstadtbesucher und die Umsätze gingen zurück. Doch haben viele Akteure während der Corona-Pandemie den Online-Handel für sich erschlossen und dadurch Erlöse generieren können. Nun müssen wir beobachten, inwiefern die coronabedingten Verschiebungen im Online-Handel verbleiben und was wieder in den stationären Handel zurückkommt.

PUBLIC MARKETING: Im Mai 2021 haben sie die Plattform „Stadtimpulse“ gelauncht. Das erklärte Ziel ist es, Best-Practice-Beispiele zur Verbesserung der Innenstädte in den Fokus zu rücken. Warum haben Sie sich für einen solchen Datenpool entschieden?

Reink: Zunächst muss erwähnt werden, dass wir eine noch größere Idee verfolgen. Der Handelsverband Deutschland gehört zu den Mitgründern des Beirats Innenstadt. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Spitzenverbänden und dem Bundesinnenministerium wurde ein Strategiepapier entworfen, welches im besten Fall ein Hausaufgabenheft sein soll, das konkret zur Entwicklung der Innenstädte beiträgt.

Für uns als Verband war es wichtig, dass wir mithilfe des Beirats und des Strategiepapiers systematisch die einzelnen Punkte für die Innenstadt der Zukunft angehen. Denn die Innenstadtentwicklung erfordert Zeit und Geduld. Da sich die Stadtzentren allerdings in einer schwierigen Lage befinden, war es uns außerdem wichtig, schnelle Hilfestellung zu geben. Da es bereits viele gute Maßnahmen und Projekte in den Innenstädten gibt, haben wir uns überlegt, diese in einem Datenpool darzustellen.

PUBLIC MARKETING: Mittlerweile finden sich auf der Plattform 33 Projekte. Wie ist die Resonanz auf das Angebot, das eigene Projekt zertifizieren und auf der Website eintragen zu lassen? Wie zufrieden sind Sie mit den Einreichungsquoten?

Reink: Wir haben uns sehr gefreut, dass wir den Launch auf dem 14. Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik verkünden konnten. Das hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit der Entwicklung der „Stadtimpulse“. Wir haben jeden Monat etliche Bewerbungen, die von einer Jury eingehend auf ihren Innovationscharakter und ihren Mehrwert geprüft werden. Zwar müssen wir hin und wieder Projekte ablehnen, jedoch können wir mit Stolz sagen, dass die Plattform immer größer wird und zunehmend tolle Projekte vorstellt.

Auch unser Newsletter wird rege gelesen. Mittlerweile haben wir mehr als 800 Abonnenten. Das ist für uns ein gutes Indiz, dass die Informationen, die Interessierte auf „Stadtimpulse“ erhalten, auch wirklich relevant und nachgefragt sind.

PUBLIC MARKETING: Welchen Nutzen hat „Stadtimpulse“ für die teilnehmenden Städte? Wie kann die Präsenz der Website auf die Entwicklung der Innenstädte generell einzahlen?

Reink: Alle Projekte wurden so eingereicht, dass sie weiterführende Informationen für diejenigen bieten, die vielleicht selbst ein neues Innenstadtkonzept oder eine Initiative ins Leben rufen wollen. Dazu gehören zum Beispiel Stadtgröße, finanzielle Mittel und die konkreten Projektbeteiligten. Dadurch können die Interessierten einen gewissen Abgleich mit ihrer eigenen Stadt machen und prüfen, ob ein Projekt dieser Art möglich ist. Die Projekte sind zudem in verschiedene Kategorien unterteilt, die für eine schnelle und einfache Suche sorgen sollen.

Für die Entscheider kann die Datenbank auch sinnvoll sein, um zu schauen, was im direkten Umfeld oder im eigenen Bundesland im Bereich Stadtentwicklung passiert und welche Fördermittel-Aktivitäten es gibt. Das ermöglicht die Suchfunktion ebenfalls.

Ein weiterer Punkt ist die Bereitstellung von Kontaktdaten. Jede Stadt, jedes Projekt muss bereit sein, für Interessierte erreichbar zu sein. Denn die Interaktion und die Zusammenarbeit sind für uns mit das Wichtigste, auch wenn wir es selbst nur bedingt fördern können.

Eine Besonderheit unseres Engagements ist, dass wir jedem, der ein Projekt erfolgreich einreicht, das Prädikat „Impulsgeber“ verleihen. Die Stadt oder der Akteur kann dann das Logo der „Stadtimpulse“ für seine Kommunikation nutzen. Für uns erfreulich ist, dass mittlerweile auch Bundespolitiker, die ein Projekt einreichen, dieses Logo tragen und somit für zusätzliche Öffentlichkeit sorgen.

PUBLIC MARKETING: Aktuell werden auf der Plattform die Projekte in der Innenstadtentwicklung vorgestellt. Inwieweit ist eine Erweiterung des Spektrums vorgesehen?

Reink: In Zukunft wollen wir Webinare anbieten, in denen die Projekte aus den jeweiligen Städten praxisnah vorgestellt werden. Uns schwebt eine niedrigschwellige Anmeldung vor, damit möglichst viele Menschen daran teilnehmen können. Wir konnten bereits eine Moderatorin gewinnen, die dieses Angebot betreut und die Projektentscheider mit ins Boot holt.

Außerdem wollen wir die „Stadtimpulse“ bei den Fachtagungen der „Allianz für Innenstädte“ in Szene setzen. Vorstellbar wäre die Präsentation ausgewählter Innenstadtprojekte von den jeweiligen Entscheidern direkt vor Ort.

PUBLIC MARKETING: Die vorgestellten Projekte sind vielfältig und zeugen von einer großen Kreativität. Und doch reicht nur ein Bruchteil der deutschen Städte ihre Ideen bei der Plattform ein. Woran könnte das liegen?

Reink: Zunächst einmal ist es so, dass sich nicht nur Städte bewerben können, sondern auch Händler, Gastronomen und Architekten. Aber man muss auch so ehrlich sein und sagen, dass die „Stadtimpulse“ bei weitem noch nicht so bekannt sind, dass jeder sich dort bewirbt und sein Projekt vorstellt.

Außerdem haben viele Akteure gar nicht die Kapazitäten und die Zeit, ihre Ideen für die Bewerbung aufzubereiten. Viele Organisationen haben zum Beispiel im Bereich Citymanagement nach wie vor nur ein oder zwei Mitarbeiter, die eine Vielzahl an Aufgaben bewältigen müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie bei uns keine Fördermittel einwerben können, sondern „lediglich“ ein Zertifikat. Sie überlegen sich also zwei Mal, ob sie nicht lieber einen Antrag auf Fördermittel erstellen, oder eine Bewerbung für eine Präsenz auf unserer Plattform.

Dennoch möchte ich noch einmal betonen, dass wir sehr zufrieden mit der Entwicklung der „Stadtimpulse“ sind.

PUBLIC MARKETING: Wie sieht für Sie die ideale Innenstadt von morgen aus?

Reink: Ganz subjektiv könnte ich als ehemaliger Altstadtmanager der Hansestadt Stralsund jetzt sagen, die Stadt Stralsund hat die ideale Innenstadt. Objektiv betrachtet zeichnet sich die Innenstadt der Zukunft durch eine ganzheitliche Handelsausstattung, einen gestärkten Bildungssektor und eine attraktive Wohnsituation aus. Außerdem weist diese viele Arbeitsplätze auf, bietet eine Vielzahl an gastronomischen Services und ermöglicht es Kunst und Kultur, in den öffentlichen Raum zu gehen.

Weiterhin sollten die Innenstädte der Zukunft gut erreichbar sein und zwar mit allen Verkehrsmittel. Ein attraktives städtebauliches Umfeld trägt selbstverständlich zu einer erhöhten Aufenthaltsqualität bei. Ich breche es mal auf eine Aussage herunter, die wir schon vielfach gehört haben: Wir müssen den Ort schaffen, der die Menschen aus dem heimischen Umfeld herausreißt und zunehmend in die Innenstädte lockt. Deshalb ist ganz klar: Die Städte müssen neue Anlässe schaffen, um die Stadtzentren nachhaltig zu beleben. Ich bin mir sicher, dass wir das bewältigen werden.

Erschienen unter www.publicmarketing.eu