»Dritter Ort« mit Flair gesucht

Artikel von Michael Reink, geschäftsführendes Vorstandsmitglied
urbanicom e.V. und Bereichsleiter für Standort- und Verkehrspolitik beim
Handelsverband Deutschland

Schwierige Lage der Innenstädte durch Einbruch des Einzelhandels. Neue Herausforderungen multifunktionale und klimaresiliente Innenstadt.

Der Artikel ist zuerst erschienen in „landschaftsarchitekt:innen – Verbandszeitschrift Bund Deutscher Landschaftsarchitekten 3/2024““

Die Entwicklung unserer Innenstädte ist seit einigen Jahren durch multiple Krisen beeinflusst, die das Verhalten der Bundesbürger:innen prägen. Die Stimmung der Verbraucher:innen ist weiterhin stark getrübt und hat nach den Corona-Jahren und dem Krieg in der Ukraine durch den Krieg in Israel und Gaza nochmals zu einem Konjunkturdämpfer geführt. Von einer Normalisierung sind wir daher noch weit entfernt. »Real« haben sich für beide Vertriebswege des Handels (stationärer und Online-Handel) in den Jahren 2022 und 2023 Umsatzverluste ergeben. Für 2024 ist mit einer leichten Trendänderung zu rechnen, wobei wir real von einem Plus von einem Prozent ausgehen, im stationären wie auch im Online-Handel.

Die Corona-Jahre und auch die dauerhaft unterdurchschnittliche Konsumlaune haben dazu geführt, dass von 2020 bis einschließlich 2023 mehr Geschäftsaufgaben zu verzeichnen waren als in den zehn Jahren zuvor. Dieser Verlust von 41 500 Geschäften wird derzeit in vielen Städten in Form von Leerständen sichtbar. Leider sagen uns unsere Prognosen, dass wir mit weiteren 5000 Geschäftsaufgaben in diesem Jahr rechnen müssen. Hier muss sofort gehandelt werden, damit diese Leerstände nicht für Folgeleerstände sorgen und sich eine Negativspirale in Gang setzt. In Anbetracht der Bedeutung eines attraktiven Einzelhandels ist das eine sehr ernsthafte Entwicklung für die Handelsstandorte und insbesondere Innenstädte.

Mangelnde Multifunktionalität der Innenstädte diskutiert

Auch das Handelstransaktionsvolumen (Handel mit Einzelhandelsimmobilien) war im Jahr stark 2023 unterdurchschnittlich. Ursächlich dafür sind: hohe Zinsen, hohe Baukosten, weniger verfügbare Baufirmen, schlechtes Konsumklima und Unsicherheit über Handelsentwicklung. Auch in der Handelsimmobilienbranche ist eine Zunahme an Insolvenzen zu verzeichnen, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Bautätigkeit auch in den Innenstädten.

Die Innenstädte sind demnach (mal wieder) in einer schwierigen Phase. Hinzu kommen die Herausforderungen in Bezug auf die klimaresiliente Innenstadt mit mehr »Blau« und »Grün« und der Mobilitätswandel. Derzeit wird auch wieder viel über die mangelnde Multifunktionalität der Innenstädte diskutiert, was zu Forderungen nach mehr Wohnraum in den Innenstädten führt. Man erhofft sich dadurch eine Steigerung der Multifunktionalität und Belebung der Innenstädte. Leider wird dabei außer Acht gelassen, dass die mitteleuropäische Innenstadt immer die »Konzentration von hochrangig zentralen Funktionen« ist. Da das Wohnen jedoch über keinen Einzugsbereich verfügt (niemand kommt in die Innenstadt, um sich die Bewohner:innen anzuschauen), ist insbesondere das Wohnen keine hochrangig zentrale Funktion.

Durch die potenzielle Steigerung von Gemengelagen in den Innenstädten kann es jedoch zur »heranrückenden Wohnbebauung« und entsprechenden Klagen der (neuen) Wohnbevölkerung kommen. Eine Besserstellung des innerstädtischen Wohnens ist daher mit Bedacht zu behandeln, da die Konzentration der hochrangig zentralen Funktionen für die Innenstadtentwicklung niemals gefährdet werden darf. Hinzu kommt, dass die Innenstädte gemäß einer aktuellen Studie des BBSR aus dem Jahr 2024 immer schon multifunktional waren (BBSR: »Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Einzelhandel in Städten und Zentren«; 2024).